Mikromobilität und Multimodalität: Wie finden die Mobilitätsschlagworte der Stunde zueinander?

Autoherstellende, die in das Mikromobilitätsgeschäft einsteigen, oder Anbietende von eScootern und Veloverleihen, die ihre Wichtigkeit in der multimodalen Wegekette hervorheben: Die letzten Jahre haben starke Impulse in die Mobilitätswelt gebracht. Doch was bedeuten diese Schlagworte und weshalb sind diese plötzlich in aller Munde?

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Magazin „direkt verbunden“ 01/2021 der Alliance SwissPass.

Beide Begriffe sind keineswegs neu, denn gerade im öffentlichen Verkehr (öV) ist Multimodalität etabliert. Umsteigen von Bus auf Zug oder auch mit dem Velo an den nächsten Bahnhof zu radeln – die Schweiz als öV-Profi kennt diese Abläufe. Fahrpläne werden bis in höchste Komplexitätsgrade aufeinander abgestimmt, um möglichst gute Anschlussverbindungen von einem Verkehrsmittel zum nächsten zu gewährleisten – auch das ist gelebte Multimodalität innerhalb des öffentlichen Verkehrs.

 

Auf die Multimodalität…

So waren die multimodalen Wegeketten auch in der Vergangenheit vorhanden, doch die Kundschaft war – solange man kein eigenes Gefährt besass – stets auf eine robuste Planung der ÖV-Betriebe angewiesen. Die digitalen Möglichkeiten haben nun zu einer Verschiebung dieses Gleichgewichts geführt: Dank den verschiedenen multimodalen Mobilitätsdienstleistungen (mmM), die derzeit aufblühen, kann auch die Kundschaft selbst multimodale Routen von A nach B planen. Durch die breitere Verfügbarkeit an Informationen über alle Angebote verbessern die mmM die Allokation der Nachfrage im Markt. So hatte eine Pendlerin in der analogen Welt nur mit grossem Aufwand die Möglichkeit, sich alternative ÖV-Verbindungen zu suchen. Ein flexibler Umstieg vom ÖV auf das Velo oder andere Fahrzeuge war nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Heute ist es deutlich einfacher, sich über die vorhandenen Angebote zu informieren. Und dies ist die grundlegende Voraussetzung für die Nutzung neuer Angebote.

… folgt die Mikromobilität

Es erstaunt infolge wenig, dass neben diesen Dienstleistungen auch neue Angebote in das Feld drängen: Die Mikromobilität. Eine allgemeingültige Definition, was die Mikromobilität abdeckt, gibt es indes nicht. Am Einfachsten lassen sich darunter alle Fahrzeuge zusammenfassen, die auf der Fahrradinfrastruktur unterwegs sind – oder sein sollten. Während die kompakten Fahrzeuge an sich keine Neuigkeit sind – erst kürzlich feierte der Vorläufer von Velo und Trottinett sein 200-jähriges Jubiläum – so ist es doch die konstante Verfügbarkeit für alle Personen an nahezu jedem städtischen Ort.

Die Anbietenden von geteilten Mikromobilitätslösungen haben sich dabei konsequent an den Kundenbedürfnissen ausgerichtet: Mit Trial und Error ging die Branche durch einen sehr schnellen und kompromisslosen Lernprozess; denn zum Versuchen gehört auch das Irren. So wurden Geschäftsmodelle teilweise innert Jahresfrist vom Velo auf eScooter umgestellt oder die Datenschnittstellen von geschlossenen zu offenen Systemen umgebaut. In kürzester Zeit konnten so Produkte weiterentwickelt und ein neuer Markt erschlossen werden.

Heute treten die Anbietenden mit einem grossen Versprechen an: Die Verkehrsprobleme im urbanen Raum zu lösen – d.h. weniger Platzverbrauch und abnehmende Emissionen im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr. So wollen sie primär als wichtiger Teil der multimodalen Wegekette ihre Berechtigung finden. Neben der aufkommenden multimodalen Mobilitätsdienstleistungen der etablierten ÖV-Betriebe schaffen diese Unternehmen so neue Verkehrsmittel in urbanen Räumen.

Der städtische Raum überwiegt – noch

Doch hieraus folgt auch der springende Punkt: Multimodalität setzt das Vorhandensein von Alternativen – vor allem zum Auto – voraus. Deshalb sind multimodale Wegeketten eine zumeist urbane Erscheinung.[1] Heute werden rund 80% der Wege monomodal zurückgelegt, das heisst mit demselben Verkehrsmittel. Und dies zumeist abseits der urbanen Gebiete. Auch die Mikromobilität konzentriert sich heute auf Räume, wo Multimodalität bereits stark verbreitet ist; in allen grösseren Schweizer Städten finden sich heute Mikromobilitätsangebote[2]. In den urbanen Räumen ist das Terrain für solche Angebote bereit: Nur dank hoher Siedlungsdichte und gesundheitsbewusster Klientel lassen sich diese Systeme in den Städten potentiell wirtschaftlich betreiben. Doch erst wenn sich die geteilte Mikromobilität auch in ländlichen Regionen etablieren kann, verhilft sie der multimodalen Wegekette zu neuer Reichweite.

öV und Mikromobilität erfolgreich
zusammenspannen

Mikromobilität wir kaum je die Verkehrsmengen bewältigen, wie sie der öffentliche Verkehr zustande bringt. Pessimistisch betrachtet, kann das «Mikro» also auch auf die kleine Leistung bezogen werden. [3] Allerdings muss in den kleinen Transportgefässen auch die Stärke der Mikromobilität erkannt werden: Wo der öffentliche Verkehr heute mit geringer Auslastung auf kurzen Strecken unterwegs ist, könnte die Mikromobilität ihre grösste Wirkung auf die Multimodalität erzielen.

Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Wenn die Mikromobilität zusammen mit dem öffentlichen Verkehr konsequent als ein System gedacht wird, kann sie den grössten Nutzen erzielen und so einen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme beitragen. Das heisst aber auch, dass eine gegenseitige Lernkurve erzielt werden muss: Die Übergänge von einem Verkehrsmittel zum nächsten müssen unkompliziert möglich sein, was offene Datensysteme und Schnittstellen von beiden Seiten bedingt. So kann die notwendige Innovation gefördert werden – und Lösungen mit «Trial and Error» erprobt und etabliert werden.

Autor: Thomas Hug


[1] Multimodale Vielfalt, Quantitative Analyse  (https://d-nb.info/1070578444/34, S. 45)

[2] Analyse urbanista.ch

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